uk05
fra02
Glasmarken

Glasmarken

Viele Glasprodukte tragen eine 'Herkunftsbezeichnung', heutzutage meist in der Form eines aufgeklebten Etiketts.  Aber man findet auch auf neueren Fabrikaten , selbst wenn es sich um Massenprodukte handelt, noch die altehrwürdige geätzte Fabrikmarke. Gepreßtes Glas hatte häufig eine mitgepreßte, erhabene Fabrikmarke. Manche Glashütten , die sowohl geblasenes als auch gepreßtes Glas herstellten, verwendeten unterschiedliche Marken, andere wechselten die Marke im Laufe von zwanzig-dreißig Jahren mehrmals. Warum auf den Produkten der Gebr. von Streit – bei gleichen Objekten– mal die Preßmarke erscheint, mal eine Leerstelle, mal nur die Umrandung , mal die Dekorrosette, ist nicht klar. (Exportbestimmungen mögen eine Rolle gespielt haben: importierte Waren mußten als solche gekennzeichnet sein, und vielleicht genügte schon eine Fabrikmarke. Oder aber: "BACCARAT FRANCE", "Germany", "Foreign". Um den Absatz  zu erhöhen, produzierte man vielleicht "no-name"-Produkte, die billiger vertrieben werden konnten. U.s.w.)

Und natürlich dienten Glasmarken auch zum Schutz gegen unerwünschte Nachahmungen. Und natürlich sind sie für den Sammler heute ein vorzügliches Mittel zur Herkunftsbestim-mung  und Datierung. Um sie zu finden braucht man manchmal (a) einen sensitiven Mittel- oder Zeigefinger und (b) eine kleine Lupe. Die Marken sollten ja den ästhetischen Gesamt-eindruck nicht stören, also wurden sie meist geschickt 'versteckt': bei Deckeldosen im oder unter dem Boden  des Unterteils, bei Fußgläsern oder –schalen auf oder unter der Fuß-platte, bei Schalen und Tellern manchmal auf der Außenseite auf  geeigneten Dekor-elementen (Rippen z.B.). Eine weitere Schwierigkeit für den Sammler resultiert aus einem technischen  Problem: die Preßform nutzt sich bei häufiger Verwendung ab, das Dekor wird unscharf und die feine Preßmarke verschwindet allmählich. Mit dem Finger kann man dann noch einzelne Erhebungen erfühlen, mit der Lupe (und unter einigen Verrenkungen, um den richtigen Lichteinfall zu erhalten) läßt sich dann doch noch "BACCARAT" oder "BAYEL" oder "Val St. Lambert" erschließen. Damit will ich auch sagen, daß die französchen Hütten Baccarat, Bayel, Portieux und Vallérysthal  und Val St. Lambert aus Belgien ihren vollen Namen eingepreßt haben. (Nicht immer – s.o. – und wahrscheinlich erst nach 1900). Man braucht also kein "Bestimmungsbuch", um die Marken aufzulösen.

Das allerdings braucht man für englische Erzeugnisse. Spezielle Fabrikmarken sind bei englischen Stücken relativ selten. Lattimore kennt nur sechs: die Pfauenmarke von Sowerby, zwei unterschiedliche Löwen von Greener, Davidsons Löwe und den Anker mit Initialen von John Derbyshire. Eine sechste – Distelblüte mit 2 Blättern – konnte er nicht zuweisen. Dagegen tragen die meisten englischen Stücke ein Registrierungsmarke zum Zeichen, daß das verwendete Muster geschützt ist und nicht nachgeahmt werden darf. Davon gibt's zwei.

Von 1842 bis 1883 wurde eine auf die Spitze gestellte Raute verwendet. In einem Viertelkreis in den 4 Ecken waren Zahlen und Buchstaben eingepreßt für Tag, Monat und Jahr der Registrierung. Die 4. Ecke war für die Nummer des 'Pakets' (engl. bundle), das dieses bestimmte Dekor mit anderen zusammen enthielt. Über der oberen Spitze war ein Dreiviertelkreis mit einer römischen Ziffer. III steht für Glaserzeugnisse,  IV für Keramik. In der Mitte befindet sich ein "R", i. e. "registered".  Bis 1867 war das Zeichen für 'Jahr' ('H'  z.B. ist 1843) in der oberen Ecke, seit 1868 ist es rechts.. Die erste Eintragung für Glasprodukte datiert vom 27. November 1847. Auf 15 Seiten (a.a.O., S. 160-174) listet Lattimore alle Design-Registrierungen für Preßglas zwischen 1847 und 1883 auf. Mit Hilfe dieser Liste kann man dann die Registrierung der  Gladstone-Fußschale mit ihrer Rautenmarke auf den 31. Juli 1869 datieren und Henry Greener zuweisen (S. Fußschale 3.50). So diskret, wie ich oben behauptet habe, war diese Marke nicht: mit ca. 3 cm Länge und 2 cm in der Breite ist sie nur schwer zu übersehen, und wenn die Unter- bzw. Außenseite  reliefiert war, mußte sie auf der glatten Innenfläche aufgebracht werden. Aber schließlich handelte es sich ja um Glas zum Gebrauch und nicht zur Dekoration (von den 'chimney pieces' einmal abgesehen).

Seit 1884 gibt es nur noch Ziffern mit einem "R" und hochgestelltem "d"  davor. Die  unterschiedlichen Kategorien (Metall, Holz, Glas oder Porzellan etc.) waren abgeschafft. Es beginnt am 1. Januar mit "1" und ist am 1. Januar 1901 (so weit 'zählt' Lattimore) bei 368.154. Für die Jahre dazwischen hat er nur die Zahlen für den 1. Januar angegeben. Wenn man den Hersteller und das genaue Registrierungsdatum erfahren will, muß man schon nach Kew, wo die Unterlagen lagern (und "für jederman einsehbar sind"). Oder man folgt den Hinweisen in neueren Publikationen, wie z. B. der Pressglas-Korrespondenz; Hajdamach z. B.  hat in seinem Buch (s. Bibliogr.) bei allen abgebildeten Preßglasstücken die Registrierungsnummern identifiziert und das Registrierungsdatum und den Hersteller benannt.

Die deutsche Glasindustrie und die deutsche Behörde – genauer: Behörden – waren weniger sammlerfreundlich. Für den Musterschutz gab es nach der Reichsgründung zwar ein einheitliches Gesetz, aber weiterhin viele Registrierungsstellen: nämlich die 'zuständigen' Amtsgerichte, die auch das Handelsregister führten. Seit 1876 führten diese ein "Musterregister" für "neue und eigenthümliche, d. h. aus der eigenen geistigen produktiven Thätigkeit des Urhebers hervorgegangene Erzeugnisse". Gemeint waren Neuerungen ästhetischer Art: "Geschmacksmuster", also 'Design' nach heutigem Sprachgebrauch. Die Regelung für "Gebrauchsmuster" (Neuerungen technischer Art von 'geringerer Bedeutung', unterhalb der Patentierung) erfolgte 1891. In den seltensten Fällen tragen die geschützten Preßglasprodukte einen Hinweis, daß sie geschützt sind; ein gelegentliches "M.S." (für "Musterschutz angemeldet") oder "ges. gesch." oder "Musterschutz No. 1391" (s. Chiarenza, S. 65, Nr. 122) helfen dem Sammler wenig. Zeitgenössische Konkurrenten mußten die Musterbücher durcharbeiten, um geschützte Muster zu entdecken und- je nach Risikobereitschaft- nachzuahmen oder die Nachahmung zu unterlassen. Heutigen Sammlern helfen auch nur die Musterbücher – zur Identifizierung des Produzenten, kaum aber zur Datierung des Produkts.

Das könnte sich ändern! Ein bisher ungehobener Goldschatz liegt in den Magazinen jeder größeren deutschen Bibliothek. Wenn es auch keine zentrale Meldestelle für Design gab, so gab es doch ein publizistisches Zentralorgan, nämlich den "Deutschen Reichsanzeiger". Dieses amtliche Organ der Reichsregierung, vergleichbar dem "Bundesanzeiger", das sechs Mal wöchentlich erschien, sammelte und veröffentlichte alle Eintragungen ins "Handelsregister", alle Eintragungen ins "Zeichenregister" und seit April 1876 alle Eintragungen ins "Musterregister". Wenn man in der Ausgabe Nr. 1 von Montag, dem 2. Januar 1888, liest, daß seit dem 1. April 1876 654.294  "Bekanntmachungen über neu geschützte Muster und Modelle veröffentlicht" worden sind, kann man sich vorstellen, welche Arbeit da noch vor uns Preßglassammlern liegt – und warum Lattimore vor einer Aufschlüsselung der preßglasrelevanten Zahlenfolge nach 1884 zurückschreckte, wurden doch in Großbritannien ca. 20.000 Designs pro Jahr registriert. Nach der Aufstellung im "Reichsanzeiger" waren es in Deutschland im 1. (verkürzten) Jahr ca. 12.000, zwischen 1877 und 1883 jeweils um oder über 50.000, ab 1884 um 70.000 Eintragungen – so der Stand im Januar 1888. Doch gemach! Das Ganze wird schon erträglicher und handhabbarer, wenn man bedenkt, daß die Cottbusser Webereien oder Hamburger Etikettenhersteller bis zu 50 Muster in ein "offenes" oder "versiegeltes Couvert" oder "Packet" packten, in der Statistik verbergen sich die einzelnen Muster, nicht die einzelnen "Packete". So heißt es denn auch in der Monatsübersicht  vom Dezember 1887 "4670 Muster von 351 "Urhebern".

Ein paar Wermutstropfen: Ohne ein 'halbwegs' zeitgenössisches  Musterbuch läßt sich mit einer Eintragung wie dieser wenig anfangen: (Ausgabe Nr. 11, von Freitag, 13. Januar 1888, Musterregister Nr. 8) "Für Villeroy & Boch Wadgassen unter Nr. 28 ein versiegeltes Briefcouvert enthaltend angeblich 3 Zeichnungen gepreßter Artikel Nr. 687 bis 689, plastische Erzeugnisse, Schutzfrist 3 Jahre, angemeldet 2. Dezember 1887." Amtsgericht Saarbrücken. Besser sieht es da schon mit der folgenden Eintragung aus (vom 6. Januar): "Berlin. Nr. 8871: "Fa. Gebrüder von Streit Nachfolger Theodor Burmester in Berlin 1 Packet mit 1 Modell für Zuckerkasten "Louise" mit Deckel von gepreßtem Glase mit metallenem Charnier, versiegelt, Muster für plastische Erzeugnisse, Fabrikationsnummer 50, Schutzfrist 3 Jahre, angemeldet am 16. Dezember 1887, Nachmittags [lacuna] Uhr 57 Minuten." Wir erfahren etwas über die Besitzverhältnisse dieser rätselhaften Glashütte, wir haben's zum 1. Mal schriftlich, daß die Streits schon vor 1900 produziert haben, und wir können (beinahe? halbwegs?) sicher sein, daß  "Nr. 94 Zuckerkasten Luise, klein, gepreßt" oder "Nr. 95 Zuckerkasten Luise, groß, gepreßt" (s. MB Streit 1913, Tafel 57 "Zucker-, Tee- und Schmuckkästen, 2. Reihe) unter anderer Rechtschreibung und anderer Fabrikationsnummer schon Ende '87 hergestellt worden ist. (Nicht vorher. So schreibt das Gesetz es vor : "Die Anmeldung und Niederlegung muß erfolgen, bevor ein nach dem Muster gefertigtes Erzeugnis verbreitet ist.") Noch deutlicher wird folgender Eintrag am 9. Mai 1888:"In das Musterregister ist eingetragen: Nr. 33 Karl August Walther, Glasfabrikbesitzer in Moritzdorf ein Muster für "Blumenvasen mit Brustbildniß des Deutschen Kaisers Wilhelm und einem Kornblumenstrauß", offen, Fabriknummer 1007, angemeldet am 28. Apr. 1888, Vormittags 12 Uhr. Radeberg, 3. Mai 1888"

Zurück zu dem Texte-Inhaltsverzeichnis..

© Copyright 2001-2008  Simon Becker.  Stand dieser Seite: Donnerstag, 2. Oktober 2008